Man schreibt den 8. Mai 2007, vor 15 Jahren. Das israelische Fernsehen unterbricht sein Programm für „Breaking News“. Die Menschen im Land halten den Atem an. Was ist geschehen? Ein Terroranschlag? Eine Zuspitzung im Konflikt mit dem Iran? Nein! Professor Ehud Netzer verkündet die Lösung eines der größten archäologischen Rätsel Israels.
„Unsere lange Suche nach dem Herodesgrab hat nach drei Jahrzehnten endlich mit der Entdeckung der Reste seiner Bestattungsanlage, seines Sarkophags und des Mausoleums bei seinem Palast am Herodion, 15 Kilometer südlich von Jerusalem, ihr Ende gefunden“, gab der Forscher vom Institut für Altertumsforschung an der Hebräischen Universität bekannt.
Als langjährige Ausgräber und Koordinatoren des archäologischen Projekts Emmaus-Nicopolis konnten meine Frau Louisa und ich unsere wissenschaftliche Neugier nicht zurückhalten. Gleich nach dem Frühstück flitzten wir mit unserem Auto zum Herodion. An der Ausgrabungsstätte trafen wir den Archäologen Yaakov Kalman.
Auf die Frage, was er empfunden habe, als er mit seinem Team auf diesen sensationellen Fund gestoßen war, gestand Kalman mit einem leichten Schmunzeln um die Mundwinkel: „Ich war so überrascht und schockiert, dass es mir dermaßen in den Magen fuhr und ich zunächst einmal auf die Toilette gerannt bin.“
Palastartige Grabanlagen
Auch wenn keine Inschriften gefunden wurden, die auf Herodes hinwiesen, waren sich die Ausgräber sicher: Sie hatten den Steinsarg des biblischen Königs von Judäa gefunden. „Nur wenige solcher Sarkophage sind hier im Land bekannt“, erklärte Kalman, „das heißt: nur in besonders palastartig gebauten Grabanlagen wie beispielsweise in den Königsgräbern von Ost-Jerusalem.“
Herodes’ Sarkophag war zertrümmert. Ob das Mausoleum wohl in der Antike von Grabräubern aufgebrochen und der Sarg zerschlagen worden war? Kalman stellte klar, dies sei eher aus einer „inneren Wut gegen den Toten“ geschehen, wahrscheinlich während des ersten jüdischen Aufstands gegen die Römer 66 bis 70 nach Christus.
Von Römern geschleift
„Nach Flavius Josephus bemächtigten sich die Rebellen des Herodions“, erzählte Kalman von der Erhebung der sogenannten Zeloten. Sie seien bekannt gewesen für ihren Hass auf Herodes und seine Familie, die sie als Marionetten Roms betrachteten. Im Jahr 71 sei die Palastanlage von den Römern geschleift worden. Der archäologische Befund belegt durch Brandspuren und zahlreiche Pfeil- und Lanzenspitzen die Kampfhandlungen.
„Der Fund bestätigt“, sagte meine Frau Louisa, „dass das Evangelium keine erfundene Fabel darstellt, sondern sich in einem geschichtlichen Zusammenhang ereignet hat: in einem ganz bestimmten Land, zu einer ganz bestimmten Zeit und mit ganz bestimmten Personen.“ Die Regierungszeit des Herodes ist der erste geschichtliche Hinweis im Leben Jesu. „Seine Erwähnung bei Mt 2,1 und Lk 1,5 zeigt, dass er nicht irgendeine Märchenfigur ist, sondern eine historische Gestalt.“
Ein künstlicher See
Die archäologische Suche nach dem Grab hatte 1972 begonnen. Bis 2006 richteten die Ausgräber um Netzer ihr Augenmerk auf die „Unterstadt“ des Herodions. Dort liegt ein ehemals großer, künstlich angelegter See. Teilweise war dieser Teich in den Felsen gehauen, zum Teil mit breiten Feldsteinen errichtet. Vier Stufen führten an den vier Seiten hinab. Umgeben war er von großzügig angelegten Ziergärten. Gespeist wurde der See durch ein Aquädukt.
Westlich davon erstreckte sich eine künstliche Terrasse mit rund 30 Metern Breite und einer Länge von 350 Metern. Daran schloss sich ein monumentaler Bau von 14 auf 15 Metern an. Er bestand aus einer einzigen Halle mit einer Reihe von Nischen zwischen den Pilastern.
Netzer gelangte zu der Überzeugung, dass die ganze Anlage in engem Bezug zum Herodesgrab stehen könnte, zumal auch eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, in der Nähe gefunden wurde. Der monumentale Bau könnte demnach das Mausoleum gewesen sein, die mächtige Terrasse hätte als Paradeplatz gedient. Ein Anzeichen eines Grabs allerdings ließ sich in besagter Halle nicht finden.